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Demokratie der Zerstörung

Wenn der Wille des Volkes der Untergang des Planeten ist.

Die Vereinigten Staaten sind keine Demokratie. Es ist zutreffender zu sagen, dass wir in einer Plutokratie leben – einer Regierung von, durch und für die Reichen – oder genauer gesagt, einer Kleptokratie – einer Regierung, deren primäres Organisierungsprinzip der Diebstahl ist, von den Armen, vom Land, von der Zukunft. Doch irgendwie sprechen und handeln wir immer noch öffentlich, als ob wir in einer Demokratie leben würden.

Aber es gibt ein tieferes Problem als uns, die wir nicht in einer Demokratie leben, ein noch tieferes Problem als unsere Unfähigkeit, anzuerkennen, dass wir nicht in einer Demokratie leben, nämlich dass wir auf eine sehr reale Art und Weise doch in einer Demokratie leben. Und die Folge davon ist eine sehr schlechte Nachricht für den Planeten. Der Grund dafür liegt nicht so sehr in der Art und Weise, wie wir regiert werden, sondern in dem, was wir wollen und was wir tun. Wenn es wahr ist, dass, wie jemand vor langer Zeit sagte, ihr sie an ihren Früchten erkennen sollt, dann wird schnell klar, dass der Mehrheit der Menschen die Gesundheit des Planeten vollkommen egal ist. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.

Fangen wir mit Tigern an. Nicht mit echten Tigern, nicht mit Tigern aus Fleisch und Blut, nicht mit Tigern, die in freier Wildbahn ausgerottet werden. Sondern mit dem Louisiana State University Tigers football team, das derzeit die Nummer eins im Land ist. Letzten Januar, als die LSU Tiger gegen Alabama für die Hochschulmeisterschaft spielte, kamen mehr als 78.000 Leute. Der durchschnittliche Ticketpreis betrug 1.565 $, und es wurde berichtet, dass einige Sitze für bis zu 10.000 $ verkauft wurden. Die ganze Region war von diesem Fußballspiel so begeistert, dass mehrere Schulen geschlossen wurden. Und natürlich zählte das Fernsehpublikum weit über 24 Millionen Menschen. Es war das am zweithäufigsten gesehene Programm in der Geschichte des Kabelfernsehens.

All das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass sich in diesem Land mehr Menschen für das Tigers Football Team interessieren als für lebende, atmende Tiger. Offensichtlich könnte man das gleiche Argument über die Detroit Tigers, Miami Marlins, Carolina Panthers, Jacksonville Jaguars und so weiter und so fort führen.

Versteht mich nicht falsch: Ich mag Sport. Aber letztendlich ist das, worüber wir hier reden, ein Spiel. Denkst du, wir hätten Schulen schließen können oder 70.000 Menschen dazu bringen können, sich zu versammeln, um Louisianas Strände von der Ölpest am Golf zu säubern (und es Woche für Woche zu tun, wie sie es bei Football-Spielen der LSU, bei Football-Spielen der New Orleans Saints tun – wie sie es fast täglich in jeder Stadt im ganzen Land für Football, Baseball, Basketball und so weiter und so fort tun)? Oder Hölle, denkst du, wir könnten Schulen schließen oder mehr als 70.000 Menschen dazu bringen, sich Woche für Woche zu versammeln, um zu versuchen, etwas gegen die Cancer Alley dieser Region zu unternehmen?1

Ein weiteres Beispiel: Für eine kurze Nacht vor ein paar Jahren wurde die nördliche Provinz von Kalifornien, in der ich lebe – Del Norte – zu einem lebendigen und leuchtenden Beispiel für partizipative Demokratie in Aktion. Aber es war nicht die Rettung der Mammutbäume oder das Absterben von Amphibien oder das Entfernen von Dämmen, die die Menschen dazu brachten, sich massenhaft zu versammeln. Es war eine besonders umstrittene domestizierte Pflanze. Du weißt wahrscheinlich, dass durch die Volksabstimmung der Staat Kalifornien Cannabis für medizinische Zwecke legalisiert hat, und jetzt wird die Anzahl der erlaubten Pflanzen von Bezirk zu Bezirk bestimmt. Also, als die Del Norte County Aufsichtsbehörden erwägten, diese Zahl von neunundneunzig auf sechs Pflanzen zu senken, überschwemmten die Leute die öffentliche Sitzung und hinderten sie am stattfinden. So soll partizipative Demokratie funktionieren: Öffentliche „Repräsentanten“ sollen den Willen des Volkes umsetzen, und diejenigen, die versuchen, etwas anderes zu tun, werden abgewählt.

Der Punkt hier ist nicht, ob Marihuana zugelassen sein sollte, ebenso wenig wie es der Punkt ist, ob Alabama die Louisiana State University Tigers schlägt. Der Punkt ist, dass ich mir wünsche, dass sich die Menschen genauso sehr um Lachse sorgen wie um Marihuana oder um Football. Aber das tun sie nicht. Wenn die Menschen gemeinsam eine Wahl zwischen lebendigen Flüssen oder Strom aus Staudämmen (und den Erholungsmöglichkeiten an Stauseen und dem Wert der Ferienhäuser einiger Leute) treffen müssten, könnten wir ahnen, was sie wählen würden. Tatsächlich wissen wir, was sie bereits gewählt haben. Die Antwort liegt in den 2 Millionen Staudämmen in diesem Land, in den 60.000 Staudämmen mit einer Höhe von mehr als 13 Metern, in den 70.000 Staudämmen mit einer Höhe von mehr als 6,5 Metern und in den zusammenbrechenden Muschelpopulationen, zusammenbrechenden Fischpopulationen und sterbenden Flüssen und Überschwemmungsgebieten. Wenn die Menschen kollektiv zwischen iPods und Berggorillas wählen müssten, wüssten wir, was sie wählen würden (und tun). Wenn sie sich kollektiv zwischen Laptops auf dem Schoß und Menschenrechten in der Demokratischen Republik Kongo entscheiden mussten, wissen wir auch diese Antwort.

Man könnte sagen, dass ich Äpfel und Birnen vergleiche, aber ich spreche wirklich nur über die Prioritäten der Menschen in der Praxis. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Aber es wird noch schlimmer, denn die meisten Menschen werden sich selbst nicht eingestehen, dass sie diese Entscheidungen treffen. Alle Entscheidungen, die lange genug getroffen wurden (auf persönlicher und vor allem sozialer Ebene), hören auf, sich wie Entscheidungen anzufühlen und fangen an, sich wie ökonomische Imperative oder politische Unvermeidbarkeiten anzufühlen, oder einfach so, wie die Dinge eben sind. Zu viele Menschen argumentieren – oder besser gesagt, argumentieren nicht, sondern gehen einfach unbekümmert davon aus, dass wir nicht zwischen lebenden Flüssen und Staudämmen wählen müssen, dass wir uns nicht zwischen einem lebenden Planeten und der industriellen Ökonomie entscheiden müssen. Aber ich spreche hier nicht von Wunschdenken. Ich spreche von der Realität, in der man, wie Bill McKibben so oft und eindringlich betont, nicht gegen die Physik argumentieren kann. Nach Millionen von Staudämmen und Hunderttausender zerstörter Flüsse und Bäche sollten wir das alle wissen. Genauso wie wir wissen sollten, dass bei der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Substanzen Kohlenstoff in die Luft freigesetzt wird; und ebenso sollten wir wissen, dass Gegenstände, die bergbaulich gewonnenes Material benötigen – iPods, Laptops, Windräder, Photovoltaik-Solarzellen, elektrische Netze und so weiter – Minen benötigen, was bedeutet, dass sie Landschaften zerstören.

Die Vorstellung, dass wir uns nicht entscheiden müssen, dass wir den „Komfort und die Eleganz“ dieser Lebensweise haben können, wie es ein Pro-Sklaverei Philosoph vor dem Bürgerkrieg formuliert hat, ohne die Folgen, dass wir die Leckerbissen des Imperiums (für uns) ohne die Schrecken des Imperiums (für die Opfer) haben können, dass wir eine industrielle Wirtschaft haben können, ohne den Planeten zu zerstören, steht völlig im Widerspruch zu den Fakten. Diese Vorstellung kann nur von denjenigen vertreten werden, die entweder Begünstigte dieser Entscheidungen sind oder sich mit den Begünstigten dieser Entscheidungen identifizieren, d. h. diejenigen, die sich nicht in erster Linie um die Opfer dieser Entscheidungen kümmern oder sich nicht mit ihnen identifizieren. Diese Vorstellung kann nur von denen vertreten werden, die sich – bewusst oder unbewusst – über das Leiden und die tatsächliche Existenz dieser Opfer hinweggesetzt haben. Womit wir wieder bei der Frage sind, wie wir wirklich in einer Demokratie leben. Dieses mangelnde Vorstellungsvermögen – dieses mangelnde Einfühlungsvermögen – ist eines der Dinge, die dafür sorgen, dass unsere unglaublich zerstörerische Marke der Demokratie funktioniert. Ohne Frage ziehen die meisten Menschen in dieser Kultur ihren „Komfort und ihre Eleganz“ einem lebendigen Planeten vor, und so dürfen Diebstahl, Vergewaltigung und Plünderung den Tag bestimmen.

Von Upton Sinclair stammt die berühmte Bemerkung, dass es schwer ist, einen Mann dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Job davon abhängt, dass er es nicht versteht. Ich würde hier bemerken, dass es schwierig ist, die Menschen dazu zu bringen, sich um etwas zu kümmern, wenn es ihnen greifbare Vorteile bringt, es zu ignorieren. Diese zerstörerische Demokratie, die wir teilen, ist eine Demokratie, in der die meisten Menschen eine Wahl treffen – durch ihre Handlungen und Untätigkeiten, durch die Leidenschaften, die sie ausüben, durch das, was sie interessiert und nicht interessiert – durch und für ihre Ansprüche. Deshalb sollten wir unser System, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, als Kleptokratie bezeichnen. Es ist eine Demokratie von, durch und für diejenigen, die von der großflächigen Zerstörung des Planeten profitieren.

Ursprünglich veröffentlicht in der Mai/Juni 2012-Ausgabe von Orion.

Übersetzung: Boris Forkel

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