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Wie zerstören wir den Kapitalismus?

Von Stephanie McMillan | Derrick Jensen | Charles Derber

Stephanie:

Danke für eure Entschlossenheit, die verschiedenen Aspekte dieser katastrophalen Situation, mit der wir konfrontiert sind, zu untersuchen und zu verstehen. Wir stehen alle gemeinsam vor dem Problem. Insbesondere möchte ich denjenigen von euch danken, die etwas dagegen unternehmen oder darüber nachdenken, etwas dagegen zu unternehmen.

Ich werde auf einige der eher strukturellen Aspekte eingehen. Also, wir alle wissen, dass der Kapitalismus die Welt vernichtet. Um ihn zu stoppen, reicht es nicht aus, wenn wir uns weiter gegen seine Auswirkungen wehren. Dem Kapitalismus ist es egal, ob wir tausendmal an Straßenecken protestieren. Das beweist doch nur, wie demokratisch sie sind. Die Lösungen sind nicht innerhalb seines Rahmens zu finden. Und sie sind noch weniger auf der individuellen Ebene zu finden. Wir haben eigentlich keine Macht als Verbraucher, wie die meisten von Euch sicher schon wissen. Sie möchten, dass wir denken wir hätten Macht, aber wir können uns nicht durch Konsum oder den Verzicht auf Konsum einen Ausweg aus dieser Situation erkaufen. Es ist ein soziales System, ein Klassensystem, und es kann nur auf einer Ebene des kollektiv organisierten Klassenkampfes angegangen werden.

Wir müssen das Kapital verstehen, wie es funktioniert, die Mechanismen, die es an Ort und Stelle halten und im Zentrum seiner Funktionsweise stehen. Der Kapitalismus ist ein Produktionsmodus, der auf der Ausbeutung von Arbeit und dem Generieren von Mehrwert basiert. Das bedeutet, dass den Arbeitnehmern ein gewisser Lohn für die tägliche Arbeit gezahlt wird. Aber was sie produzieren, ist mehr wert als das. Dies wird als Mehrwert bezeichnet, und der Kapitalist stiehlt diesen Mehrwert einfach. Das ist es, worauf jeder Gewinn basiert. Das ist es, worum es bei Privateigentum geht. Es wird als normal betrachtet, dass die Produktionsmittel (die Fabriken, das Land, alles, was all die Dinge produziert, die wir alle benutzen), in Privatbesitz sind, und dass ihre Eigentümer sich einfach alles nehmen, was in ihnen produziert wird.

Der Kapitalismus ist nicht nur ein ökonomischer Prozess, sondern er ist die gesamte Art und Weise, wie unsere Gesellschaft organisiert ist; er ist ein Ensemble oder eine Matrix sozialer Beziehungen, und diese bestehen aus drei Bereichen: dem ökonomischen, dem politischen und dem ideologischen. Das ökonomische Feld bestimmt, Profit ist das Ziel, und alles andere ist darauf ausgelegt, die Beziehungen der Produktion zu festigen, die den Profit im Gang halten. Die kapitalistische Ideologie, die Wettbewerb und Individualismus in den Mittelpunkt stellt, zielt darauf ab, die Art und Weise, wie wir leben, als normal und unvermeidlich erscheinen zu lassen. Er wird uns von seinen Institutionen, der Schule, der Kirche, der Kernfamilie, den Medien und der Kultur aufgezwungen. Warum bräuchten wir zum Beispiel Werbung, wenn sie uns nicht zur Teilnahme überreden müssten? Die ideologische Dominanz ist eine unerbittliche Konditionierung und Indoktrination, um den Kapitalismus als etwas Natürliches erscheinen zu lassen und uns gefügig, passiv, gierig und egozentrisch zu machen, damit wir uns mit ihm identifizieren, anstatt ihn als den Feind zu verstehen, der er wirklich ist. Die politische Vorherrschaft, die Aufgabe des Staates, hat zwei Hauptziele: Die erste, die von der Regierung und ihren Gesetzen durchgeführt wird, ist die Regulierung von Vorschriften innerhalb und zwischen den Klassen, um den Fluss des Kapitals reibungslos und frei von Hindernissen zu halten.

Die zweite ist für den Fall, dass die ideologische Vorherrschaft versagt. Wenn wir es nicht länger hinnehmen können, so zu leben, wendet der Staat Zwang durch Terrorismus an. Diese Funktion wird von den staatlichen Streitkräften, dem Militär und der Polizei wahrgenommen. Wenn wir nicht einwilligen, dann kommen die Waffen raus. Das haben wir bei der Occupy-Bewegung gesehen. Der gesamte Zweck dieser Einrichtung ist ökonomisch. Das Anhäufen von Reichtum für eine kleine Minderheit von Menschen. Für diejenigen, die die Produktionsmittel besitzen, nämlich die Fabriken, die Werkzeuge, das Land. Diese Eigentümerschaft wurde nicht von einem Gott bestimmt und sie kommt auch nicht daher, dass die Kapitalisten etwa klüger wären oder härter arbeiten würden als andere und sich dieses Recht damit verdient hätten. Es ist ihr Eigentum, weil sie es sich genommen haben.

Sie begannen mit Handel, den viele Gesellschaften als Diebstahl betrachteten, da es sich um den Austausch ungleicher Werte handelt. Dies ist immer noch die Art und Weise, wie kaufmännische Kapitalisten Reichtum anhäufen. Sie fuhren fort mit Landdiebstahl, unterstützt durch Krieg und Völkermord. Was auch heute noch so ist, wie wir alle wissen. Ich kam gerade erst vor einigen Tagen aus Haiti zurück und sah riesige Landflächen, die von Kleinbauern und Stadtbewohnern gestohlen wurden, deren Häuser ohne Vorwarnung einfach plattgemacht wurden, damit die Regierung ausländische Investoren für den Bau von Industrieparks und Touristenresorts gewinnen konnte. Sie begründeten dies damit, dass die Menschen Arbeitsplätze bekommen werden. Sie könnten in den neuen Fabriken und Hotels arbeiten. Und das ist die übliche Art und Weise, wie Kapitalisten seit 250 Jahren ihre Arbeitskräfte bekommen. Der grundlegende Widerspruch des Kapitalismus, der ihn reproduziert und vorantreibt, ist Kapital gegen Arbeit und die Produktion von Mehrwert für die private Akkumulation. Dieser Prozess ist es, der Klassenspaltungen, Klassenherrschaft und Klassenkampf hervorbringt. Klassen sind Gruppen von Menschen, die durch ihre Rolle in der sozialen Produktion definiert sind. Es gibt diejenigen, die es besitzen und kontrollieren, und das sind in der Regel nicht dieselben Leute, die es benutzen und die in diesem Prozess ausgebeutet werden. Neben der Ausbeutung bedient sich der Kapitalismus auch repressiver Praktiken wie Rassismus und Patriarchat und hat schreckliche Auswirkungen wie Umweltzerstörung und Krieg, mit denen wir alle zu kämpfen haben. Es ist ein soziales System, das das gesamte soziale Leben beherrscht, und alle dominierten Klassen und sozialen Gruppen kämpfen auf ihre Weise dagegen an.

Doch der Kern des Ganzen liegt im Kampf der Arbeiter gegen die Ausbeutung. Arbeiter sind diejenigen, die in ihrem täglichen Existenzkampf, in einer inhärent antagonistischen Beziehung mit dem Kapital konfrontiert waren. Sie sind die einzigen, die in der Lage sind, eine Alternative zum Kapitalismus anzubieten. Andere Klassen können Widerstand leisten, aber sie können nicht den Rahmen brechen. Wenn wir also den Kapitalismus tatsächlich zerstören wollen, muss die Arbeiterklasse alle dominierten Klassen in einer Revolution anführen, um die Kapitalistenklasse zu stürzen. Wir alle sind soziale Akteure, die in eine Struktur hineingeboren wurden, die wir nicht geschaffen haben. Wir werden in die bestehenden Produktionsbeziehungen eingefügt, in bestimmte soziale Slots eingegliedert und dienen den unterschiedlichen Anforderungen des Kapitals. Das Kapital begrenzt unsere Beziehungen in einem Rahmen von Beziehungen zwischen Dingen. Es behandelt Lebewesen, auch Menschen, als Objekte. Es hat keinen moralischen oder ethischen Rahmen, weil es nicht lebendig ist. Nichtsdestotrotz hat es seine eigenen Bewegungen, eigene Antriebe und Imperative. Sein einziges Ziel ist die Expansion. Selbst Kapitalisten sind nur Verwalter des Kapitals und haben keine echte Kontrolle darüber. Wenn sie einen Anfall von Gewissen haben und einen Versuch unternehmen, das Kapital zu mäßigen, dann werden sie ersetzt. Soziopathen werden von dieser Rolle angezogen, tatsächlich findet man in dieser Klasse einen höheren Prozentsatz als in der Allgemeinbevölkerung. Denn um dem Kapital auf diese Weise zu dienen, bedarf es eines Mangels oder einer völligen Unterdrückung von Empathie. Das Kapital hat keine Subjektivität und erkennt sie auch nicht in anderen. Aber es ist lebendig, verkörpert durch seine Repräsentanten. Es hat sie mit seiner eigenen Soziopathie durchdrungen.

Ein Mehrwert entsteht nur in der industriellen Produktion, wenn Arbeitskraft für die Umwandlung von Rohstoffen, auch bekannt als lebendige Welt, in Waren genutzt wird. Daher der Ökozid. Andere Formen der Kapitalexpansion, wie z.B. Handel und Finanzwirtschaft, erzeugen durch ungleichen Handel und Spekulationen aufgeblähte Blasen von fiktivem Wert. All dies muss auf der Produktion von physischen Gütern beruhen. Zum Beispiel baut China jedes Jahr zwölf bis vierundzwanzig Geisterstädte, Meile um Meile von Einkaufszentren, in denen es keine Geschäfte gibt und Häusern, in denen keine Menschen leben. Und diese leerstehenden Gebäude dienen als Lagerstätten für Kapitalanlagen, als Werterhaltungs- und Spekulationsobjekte. Überschüssiger Wert muss als neues Kapital reinvestiert werden, sonst degradiert er und verliert an Wert. Das Kapital wird alles in seiner Macht stehende tun, um seine eigene Abwertung zu verhindern, einschließlich aller Formen brutaler Unterdrückung, endloser Kriege, völliger Missachtung der Bedürfnisse aller Lebewesen, Aberkennung der Subjektivität und Umwandlung von Subjekten in Funktionen für seine eigene Reproduktion, bis hin zur Vernichtung allen Lebens auf der Erde. Das würde natürlich auch die eigene Zerstörung bedeuten. Marx verstand dies, als er sagte, dass der Klassenkampf entweder zum Sturz des Kapitalismus und zur Beseitigung der Klassenherrschaft im Allgemeinen, oder zum Untergang aller konkurrierender Klassen führen wird. Und wir haben vielleicht noch diese Wahl zu treffen, aber das Fenster schließt sich. Wir alle müssen jetzt unsere Wahl treffen und die Arbeit tun, die wir in dieser sehr intensiven und entscheidenden historischen Periode leisten müssen. Die Arbeit des Verstehens der strukturellen Krise und der Verwundbarkeit des Systems, mit dem wir konfrontiert sind, sowie die Arbeit der Organisation unserer Kräfte, sodass wir stark genug werden können, um das System zu schwächen und schließlich zu zerstören.

Derrick:

Seit acht Jahren führen Stephanie und ich einen bitteren, bitteren ideologischen Kampf. Er ist so bitter, dass wir zusammen ein paar Bücher geschrieben haben und sehr liebe Freunde geworden sind. […] Die Frage, über die Stephanie und ich uns ein wenig uneinig waren, ist, ob der Kapitalismus soziopathologisches Verhalten erzeugt, oder ob es Soziopathen brauchte, um eine Rationalisierung für ihre bereits bestehenden Themen zu finden und ein System zu schaffen, welches dieses schreckliche Verhalten belohnt. Ich habe nicht wirklich eine Antwort, und ich denke, die Wahrheit ist, dass sie sich gegenseitig verstärken. Sobald man ein System hat, das Soziopathen schafft, dann werden sie zusätzliche Rationalisierungen für ihr soziopathologisches Verhalten schaffen und zusätzliche Möglichkeiten, sich selbst zu belohnen. Vor allem, wenn die Machthaber diejenigen sind, die die Regeln für die Machthaber machen, dann werden sie natürlich ihre bereits bestehenden Interessen durchsetzen.

Ich möchte noch eine Sache sagen. Ich muss sagen, dass mich die Tragik der Allmende wütend macht. Dieser Aufsatz ist so eine Lüge. Der Original-Essay von Garrett Hardin 1968. Er sagt, dass die Tragödie der Gemeingüter darin besteht, dass, wenn man ein gemeinsam genutztes Gebiet hat, dies letztendlich zerstört wird. Im Grunde genommen sagt er damit, dass man keine Gemeingüter haben kann. Denn wenn man ein gemeinschaftlich genutztes Gebiet hat, auf dem das Dorf hundert Schafe halten darf, und es gibt zehn Familien, und jede Familie kann zehn Schafe halten. Was passieren wird, ist, dass eine Familie elf Schafe halten wird und eine andere elf Schafe führen wird, was letztlich zur Zerstörung der Allmende führt. Aber das ist völliger Schwachsinn. Denn was dies wirklich ist, ist eine Tragödie des Versagens der Gemeinschaft. Denn wenn man eine Gemeinschaft hat, weiß jeder, dass er zehn Schafe halten kann, und wenn jemand elf Schafe hält, kommen die anderen Mitglieder der Gemeinschaft zu ihm und sagen: „Hey Alter, das ist keine gute Idee.“ Und wenn die Person es wieder tut, würden sie sagen: „Alter, das ist eine wirklich schlechte Idee.“ Und wenn er es noch einmal tun würde, würden sie sein Haus niederbrennen. Also, was er beschreibt, ist eine Situation, in der Ihre Gemeinschaft bereits zerstört wurde. […]

Und nochwas: Egal wie talentiert er war, wenn Jimi Hendrix seine Musik in den 1920er Jahren gespielt hätte, hätte er kein Publikum gefunden. Man muss ein empfängliches Publikum haben, um etwas populär werden zu lassen. Wenn man also von vornherein eine funktionierende Gemeinschaft hat und jemand sagt: „Hey, ich habe diese tolle Idee! Jeder, der selbstsüchtig handelt, wird einen größeren Nutzen für unsere gesamte Gemeinschaft schaffen!“, würde man diese Person für verrückt halten. Und der einzige Weg, wie man Leute dazu bringen kann zu sagen „Wow, das ist eine tolle Idee!“ ist mit der entsprechenden vorangehenden Indoktrinierung. 1992, in dem Jahr, in dem Bill Clinton gewählt wurde, hielt er diese eine Rede, die diesen großartigen Moment hatte. Er sagte: „Ich möchte versuchen zu zeigen, dass Adam Smiths unsichtbare Hand einen grünen Daumen hat.“ Es war großartig, denn das gesamte Publikum war still. Und dann sagte er: „Ich dachte, das war eine wirklich gute Zeile…“ und auf einmal applaudierten alle. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie Propaganda funktioniert. Zuerst sagt jeder: „Adam Smiths unsichtbare Hand? Ein grüner Daumen? Das bist verrückt!“ Aber dann wird es immer wiederholt, und dann steht es in der NY Times, und dann greifen die Neo-Umweltschützer es auf, und dann greifen andere Gruppen es auf, und jetzt, zwanzig Jahre später, sagt jeder „Oh ja, natürlich Kapitalismus, grüner Kapitalismus wird alles lösen“. Fickt euch!

Das ist alles.

Charles:

[…] 95% der Umweltschützer in Amerika glauben, dass die Lösung der Umweltkrise mehr Kapitalismus ist. Ich hatte das Zitat von Tom Friedman, der dieses Argument sehr eindringlich vorgebracht hat. Er redete von „Vater Kapital und Mutter Erde“. Die beiden mächtigsten Kräfte der Welt, die miteinander verheiratet sind, werden all unsere Probleme lösen. Dieses Zitat ist sehr wichtig, denn es zeigt, dass wir es mit einem Mythos, einem tief in der Gesellschaft verankerten Mythos zu tun haben. Nämlich, dass die Lösung für den Klimawandel mehr Kapitalismus ist.

Derrick:

Ich würde tatsächlich zustimmen, dass es Vater Kapitalismus und Mutter Erde gibt, und es ist eine zutiefst missbräuchliche Beziehung, in der er sie zusammenschlägt und täglich vergewaltigt, und was sie tun muss ist, ihm eine Waffe an den verdammten Kopf zu halten und ihn zu töten.

Stephanie:

Meiner Meinung nach gibt es wirklich keine Möglichkeit, es zu reformieren oder zu reparieren. Es ist kein System, das zu weit gegangen oder aus den Fugen geraten ist. Die Schienen sind so konstruiert, das ganze System ist so entstanden. Es ist nicht etwas, das man zurückhalten, reformieren, reparieren kann… Es ist nicht kaputt. Es tut genau das, was in den letzten 200 Jahren vorhergesagt wurde.

Die Anhäufung von Kapital ist ein unvermeidlicher Prozess. Die Konzentration des Reichtums in immer weniger Händen, die Monopolisierung der Produktion ist alles Teil der Funktionsweise. Und der einzige Weg, es loszuwerden, ist, wenn wir uns organisieren und zu einer mächtigen sozialen Kraft werden, mächtiger als die Lügen, der Reichtum und die Waffen unseres Feindes. Wir müssen es erst als unseren Feind erkennen. Viele Menschen tun das nicht, weil wir offen gesagt ideologisch sehr dominiert sind. Wir sind seit Generationen konditioniert, dies als normal zu akzeptieren. Die ganze Propaganda, dass es keine Alternative gibt, dass alles andere gescheitert ist, dass nichts anderes funktionieren wird, das ist unsere einzige Wahl… Wir müssen ausbrechen. Ja, es gab Versuche mit anderen Systemen, die fehlgeschlagen sind. Aber das waren Babys, die versuchten, das Laufen zu lernen. Und wenn sie heruntergefallen sind, werden wir dann sagen:“Dieses Baby wird niemals groß und lernt laufen“? Wir müssen aus den Fehlern von Menschen lernen, die verschiedene Dinge ausprobiert haben, diese entsprechend unserer aktuellen Situation modifizieren und gemeinsam eine andere Lebensweise entwickeln. Wir haben uns als kollektive Wesen entwickelt. Wir sind nicht so. Diese kapitalistische Gesellschaft hat uns zu unsozialen Geschöpfen gemacht, aber wir sind soziale Geschöpfe, wir sind kooperativ. Das ist unsere Natur. Wir müssen eine Bewegung organisieren und gemeinsam aufbauen, eine Massenbewegung, die stark genug ist, geführt von einer politisierten, revolutionären Arbeiterklasse, um sie zu stürzen. Das Ruder übernehmen. Wir müssen das politische System übernehmen, es loswerden und unser eigenes einrichten, das im Prozess des revolutionären Kampfes aufgebaut wird; und wir müssen die Produktionsmittel übernehmen und sie entsprechend der menschlichen Bedürfnisse und den Erfordernissen der natürlichen Welt umwandeln. Und das ist kein unmöglicher Traum. Das ist etwas, was wir natürlich tun würden, wenn wir nicht von einer Klasse von Menschen, die alles kontrolliert und diese Kontrolle mit ihrer bewaffneten Macht durchsetzt. daran gehindert würden. Wenn wir stark genug sein können, organisiert genug, um diese Waffen zu durchbrechen und die Gesellschaft selbst zu kontrollieren, können wir viel besser werden. Es wird natürlich keine Utopie sein. Es wird noch viel zu tun geben, und danach wird es viele Konflikte unter den Menschen geben. Aber das ist kein antagonistischer Konflikt, wir können ihn lösen. Der wirkliche Antagonismus besteht zwischen uns allen und den wenigen an der Spitze, die verhindern, dass eine menschenwürdige Gesellschaft entsteht, und die uns alle umbringen.

Charles:

Das Gespräch, das wir hier führen, ist kein Gespräch, das in den Vereinigten Staaten üblicherweise geführt wird. Sagt mir, wie oft ihr in der NY Times oder CNN oder sogar MSNBC, irgendeinem der Mainstream-Medien, ein Gespräch darüber gesehen habt, ob wir den Kapitalismus haben oder loswerden sollten. Du wirst als verdammt verrückt angesehen, wenn du diese Frage stellst. Die Auffassung ist nicht nur, dass der Kapitalismus das einzig Gute ist, sondern auch die einzig mögliche Art und Weise, die Gesellschaft zu organisieren. Das ist die schlechte Nachricht. Und es ist wirklich schlimm, denn die ideologischen Kräfte der Kontrolle haben sich um diese Auffassung herum verdichtet. Es ist nur in sehr kleinen Nischen und Gemeinschaften, in denen solche Fragen auf den Tisch kommen, ohne dass man sich darüber lustig macht. […] Wenn man aber die Leute tatsächlich danach fragt, was sie glauben, stellt sich oft heraus, dass sie den Kapitalismus als ziemlich abgefuckt betrachten. Sie denken, dass der Kapitalismus Geld in Washington und in politische Prozesse investiert, auf eine Art und Weise, die ziemlich soziopathisch ist, sie sind sauer über die Rettung der Banken. Sie glauben, dass Menschen, die in Mc Donalds oder in Pflegeheimen arbeiten, einen existenzsichernden Lohn verdienen, sie glauben, dass Gewerkschaften gut sind und dass die Gemeinschaft wichtig ist, und sie glauben an die grundlegende Notwendigkeit, die Umwelt zu schützen. […] Es gibt also eine Resonanz. Wann werden Menschen für Ideen empfänglich? Der Widerspruch, mit dem wir es hier zu tun haben, ist einerseits, dass man nicht einmal darüber reden kann, worüber wir heute reden. Der Kapitalismus ist die einzige Realität, die der ideologische Apparat des Landes als akzeptablen Dialog akzeptiert. Und in gewisser Weise gibt es eine Resonanz darauf. Nicht einmal in San Francisco gehen die Massen auf die Straße und sagen: „Wir wollen über Klassenrevolution oder über Kapitalismus reden!“ Auf der anderen Seite, wenn man die Menschen tatsächlich sorgfältig befragt, was sie an realen Themen bewegt, dann wollen sie Gesundheitsfürsorge; sie wollen eine gute Bildung für ihre Kinder; sie wollen die Umwelt für künftige Generationen retten. Es gibt also so etwas wie eine Gegenresonanz, es gibt eine Gegenkultur, aber sie operiert unter dem formalen Mechanismus der Politik, der zu einem Spektakel geworden ist und von Geld angetrieben wird. Und so muss die Praxis des Widerstandes und des sozialen Wandels irgendwie so etwas wie ein Tauchen unter die Oberfläche dieser resonanten, kontrollierenden Ideologie sein, und einen Weg finden, die Teile im Leben der Menschen anzusprechen, die ihnen sagen, dass alles falsch läuft in der Gesellschaft und dass wir drastische Veränderungen brauchen. Also, wir müssen wirklich klug sein, und ich meine das auf eine emotionale Art und Weise. Wir müssen einen Weg finden, um zu den tiefsten Gründen für die starke Unzufriedenheit und die Sorgen, die die Menschen mit ihrem Leben und in ihren Gemeinschaften spüren, vorzudringen. Sorgen über die Perspektiven ihrer Kinder, über ihre eigenen Aussichten. Es ist ein bisschen wie mit einem misshandelten Kind. Damit begegnen wir Themen, über die Derrick gesprochen hat. Du nimmst ein misshandeltes Kind, und du versuchst, es von seinen Eltern wegzuziehen, und es läuft zurück zu dem Elternteil, der es misshandelt hat, hält sich an den Knien fest und sagt: „Nimm mich nicht weg!“ Ich denke, dass die Politik in den Vereinigten Staaten ein wenig so funktioniert; sie wissen, dass sie missbraucht werden, aber sie halten sich für ihr liebes Leben an dem Täter fest. Und was eine Widerstandsbewegung tun muss ist, eine Quelle der Sicherheit und Gemeinschaft zu schaffen, die es den Menschen ermöglicht, zu erkennen: „Ich kann das loslassen und es tatsächlich abschaffen, weil es mein Leben zerstört hat“.

Derrick:

Viele Umweltschützer beginnen damit, ein bestimmtes Stück Land schützen zu wollen, und stellen am Ende das Fundament der westlichen Zivilisation infrage. Sie beginnen mit der Frage: „Warum wird dieses Land zerstört?“ Und dann fangen sie an, sich zu fragen: „Warum sollte irgendein Stück Land zerstört werden?“ Und dann hören sie, dass die Bedürfnisse der Wirtschaft im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Umwelt stehen, und sie fragen: „Warum sollte man ein Wirtschaftssystem haben, das im Gegensatz zur Umwelt steht? Es gibt diese riesige Spaltung zwischen den Grassroots-Umweltaktivisten und den Mainstream-Aktivisten. Und die Spaltung betrifft die fundamentale Loyalität der Aktivisten. Die Grassroots-Umweltaktivisten, die ich kannte und mit denen ich aufgewachsen bin, haben immer einen biozentrischen Schwerpunkt. […] Wo ist deine Loyalität? Die Loyalität von Tom Friedman gehört dem Kapitalismus. […] Ich denke immer wieder an die Zeile von Harriet Tubman „Ich habe Hunderte von Sklaven befreit, aber ich hätte Hunderte mehr befreien können, wenn sie nur gewusst hätten, dass sie Sklaven sind“. Und das Gleiche gilt für den Kapitalismus. Eine unserer Aufgaben in dieser Art von vorrevolutionärer Phase ist es, den Menschen zu helfen, das Verständnis zu artikulieren, das sie bereits haben, dass sie vom System versklavt sind, aber sie wissen es noch nicht, so wie die Sklaven, die Harriet Tubman zu befreien versuchte, es nicht wussten.

Charles:

[…] Die jungen Leute im Land haben ein Gefühl für das, wovon Derrick spricht, dass die Verbindung zu ihrer Welt zerstört wird. Auf einer gewissen Ebene gibt es ein Verständnis dafür, dass dies ein Symptom für etwas grundlegend Falsches in unserer Lebensweise ist. Dass Umweltzerstörung und Klimawandel, so schrecklich sie auch sein mögen, Symptome für etwas noch Tieferes sind. Nämlich die Art und Weise, wie wir unsere Zivilisation und unsere Lebensweise aufgebaut haben. […] Aber es ist ein langer Weg von diesem Bauchgefühl bis hin zu der Fähigkeit, die Zusammenhänge zu artikulieren, die man auf irgendeiner Ebene fühlt.

Stephanie:

Ich stimme zu, dass die Menschen unzufrieden sind. Sie verstehen, dass etwas nicht stimmt. Wir können nicht einfach losgehen und von Anfang an in abstrakten Konzepten über den Kapitalismus reden. Ich gehe viel raus und rede mit Leuten, verteile Flyer und ähnliches, versuche mich zu organisieren. Ich fange damit an, zu sagen: „Es ist wirklich schwierig, unter diesem System zu überleben, in dem ein paar Leute alles nehmen und wir nicht einmal mehr genug haben, um davon leben zu können“, und jeder stimmt zu, „Ja, es ist schrecklich!“ Und ich sage: „Wir müssen uns organisieren, um etwas dagegen zu unternehmen. Wir müssen dagegen ankämpfen!“ „Ja, das müssen wir!“, das ist eine sehr häufige Antwort. […]

Wie zerstören wir es? Ich habe ganz allgemein darüber gesprochen, aber viele Leute wollen wirklich etwas Konkretes. Es gibt keine einfache Formel dafür. Um einen politischen Wandel herbeizuführen – und eine Revolution ist ein politischer Wandel -, brauchen wir zuerst den ideologischen Wandel. Um eine Revolution in der Realität zu haben, müssen wir sie uns in unseren Köpfen vorstellen können. Menschen zu organisieren bedeutet, Beziehungen aufzubauen. Wenn ihr keine Organisation finden könnt, mit der ihr euch identifizieren könnt, dann gründet eine. Ein Gespräch mit einer Person, so fängt es an. Und dann findest du eine andere Person, und wenn du keine finden kannst oder du keine kennst, dann geh auf die Straße und fang an, mit den Leuten zu reden. Ihr müsst nicht alle Antworten haben, Ihr müsst das Gespräch eröffnen und ihr müsst regelmäßige Treffen haben, ich weiß, dass die Leute das nicht mögen, aber ist wirklich notwendig. Du musst dich bilden, und du musst handeln. Es gibt viele Möglichkeiten für Aktionen. Schon wenn man herausgeht und mit Leuten redet, ist das eine Aktion. So fangen wir an. Es gibt keinen einfachen Weg. Es gibt keinen Weg ohne die mühsame Arbeit, herauszugehen und mit Leuten in Kontakt zu treten.

Derrick:

Wie zerstören wir das System? Der Norden gewann den Bürgerkrieg, bevor er begann. Deutschland verlor den Zweiten Weltkrieg, bevor er begann. Man gewinnt den Krieg, indem man die Fähigkeit des Feindes zur Kriegsführung zerstört. Das ist der Sinn des Krieges. Und eines der Dinge, die wir tun müssen […] ist, die Fähigkeit des Kapitalismus zu zerstören, Krieg gegen uns und die Welt zu führen. Wir sind noch nicht ganz da. Eine der wirklich großen Barrieren für die Rekrutierung ist eine wunderbare Metapher, die mir jemand erzählt hat. Ich fragte eine Fischereibiologin über das Sprengen von Dämmen aus – ich weiß nicht, warum ich das fragte – und die Fischereibiologin sagte, dass eine Flut im Grunde genommen ein natürlicher Prozess ist. Jedes Mal, wenn ein Fluss überflutet wird, ändert er seinen Kurs. Es bricht ihr das Herz, denn all diese Fische, Frösche und Bäume, die im und am alten Wasserlauf lebten, sterben. Aber sie sagte, das ist es eben was Flüsse tun, sie ändern ständig ihren Kurs. Und es gibt eine Phrase, die mir im Gedachtnis kleben blieb, nämlich dass es jedes Mal, wenn ein Fluss überschwemmt wird, einen kurzfristigen Verlust an Lebensraum gibt, dafür aber einen langfristigen Gewinn von Lebensraum. Und sobald sie das zu mir sagte, bekam ich Schüttelfrost und dachte darüber nach, warum wir in schlechten Beziehungen bleiben. Weil wir Angst vor dem kurzfristigen Verlust für langfristigen Gewinn haben. Warum bleiben wir in schlechten Jobs? Weil wir Angst vor dem kurzfristigen Verlust für langfristigen Gewinn haben. Ich versuche keineswegs, den fürchterlichen Terror, der mit dem Zusammenbruch irgendeines Systems verbunden ist, kleinzureden. Aber ich denke, eines der mächtigesten Dinge, die uns alle zurückhalten, ist die sehr reale Aussicht auf einen schrecklichen kurzfristigen Verlust im Austausch für den sehr offensichtlichen langfristigen Gewinn, den durch die Abschaffung des Kapitalismus haben werden. Das ist eine gewaltige und sehr reale Barriere, mit der wir konfrontiert sind.

Übersetzung: Boris Forkel

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